Bericht Tadschikistan 2019


Im Hochgebirge von Tadschikistan

Die ehemalige Sowjet-Republik Tadschikistan rangiert auf der UN-Länder-Liste der Wirtschaftskraft noch hinter Somalia auf Rang 156. 32 % der Bevölkerung leben unter der von der Weltbank definierten Armutsgrenze. Die autonome Provinz Berg-Badachschan im Osten Tadschikistans, eine Steinwüste im Pamirgebirge, liegt zwischen 1200 und 7495 Metern hoch. Unser Einsatzort, Basid, befand sich dort im Bartangtal auf 2400 Metern Höhe.

Seit über zehn Jahren reist das Ärzteehepaar Gisela und Peter Bondes ein- bis zweimal jährlich dorthin, um medizinische Hilfe zu leisten. 2013 gründeten sie den Verein Pamir Hilfe e. V. (pamir-hilfe.de) und machten sich 2015 daran, eine neue Krankenstation zu bauen, nachdem die alte durch ein schweres Erdbeben zerstört worden war.

Das Hospital konnte nun 2019 fertiggestellt werden, weshalb zur Einweihung diesmal ein neunköpfiges Team anreiste. Zum ersten Mal waren auch zwei Zahnärztinnen dabei. Die junge Kollegin Johanna Motz war vor zwei Jahren mit dem Fahrrad im Bartangtal unterwegs. In Basid erfuhr sie, wie dringend zahnmedizinische Versorgung gebraucht wird und beschloss, sich darum zu bemühen. Als sie sich an dentists and friends wandte und um Unterstützung nachfragte, zögerte ich nicht lange, so spannend klangen ihre Schilderungen. Die Daten passten, und wir machten uns gemeinsam an die Vorbereitungen.

Unsere mobile Einheit kam gerade von der Wartung und war in perfektem Zustand. Wir stimmten noch einmal unsere Instrumenten- und Materiallisten ab. Was nicht in unserem Lager vorrätig war, versuchten wir im Kollegenkreis zusammen zu betteln (vielen Dank für die großzügigen Sachspenden der Praxen Elsholz und Klingebiel in Bremen und von den "Zahnärzten am schönen Turm" in Erding!), und klärten ab, was wir vor Ort kaufen könnten, um Kosten und Kilos zu sparen. Dankenswerterweise schenkte uns Turkish Airlines noch zusätzliches Freigepäck.

Am 23.9. ging es los. Aus Salzburg, Zürich und Bremen kommend trafen wir uns alle am Flughafen Istanbul. Von dort ging es weiter nach Dushanbé, der Hauptstadt Tadschikistans, wo wir ganz früh am Morgen von Odina und Nurali mit zwei großen Geländefahrzeugen erwartet wurden. Zwei Tage lang waren wir unterwegs, davon den zweiten ausschließlich auf abenteuerlicher Schotterpiste durch faszinierende Gebirgslandschaften.

Am späten Abend erreichten wir Basid, wo wir auf verschiedene Privatunterkünfte verteilt wurden. Nachdem wir noch köstliches Abendbrot erhalten hatten, sollten uns im Wohn/Schlafzimmer der Familie die Betten ausgerollt werden. Wir zogen es aber vor, draußen auf dem „Taptschan“ zu übernachten. Das ist ein großes Holzgestell mit Teppich und Sitzkissen bedeckt, das meistens draußen steht. Tagsüber wird darauf im Schneidersitz gegessen und nachts geschlafen. So musste die Familie ihr Wohnzimmer nicht räumen, und wir schliefen wunderbar mit Blick auf einen unglaublichen Sternenhimmel.

Am nächsten Tag funktionierten wir das Gynäkologie-Zimmer des Hospitals kurzerhand in eine Zahnarztpraxis um. Die Kniestützen wurden abmontiert, und wir behandelten die Oberkiefer am anderen Ende der Liege. Daneben stand auf einem Tisch die Behandlungseinheit, auf dessen anderer Seite ein Stuhl für die Unterkieferbehandlungen Platz fand. Auf weiteren Tischen und dem Ofen breiteten wir unser Instrumentarium aus, und schon konnte es losgehen.

Nach verschiedenen Einsätzen in Bolivien, Afrika und Haiti waren mir desolate Gebisse vertraut, aber was uns hier begegnete, war kaum zu fassen. Jeden Einzelnen unserer ca. 400 Patienten hätte man einen ganzen Tag behandeln müssen, nur um ihn chirurgisch und konservierend zu sanieren. Unversehrte Zähne waren eine Seltenheit, tief zerstörte Zähne und Wurzelreste die Regel. Ich habe hier nur ein einziges intaktes Gebiss gesehen. Besonders schmerzlich, weil es überdurchschnittlich viele sehr schöne junge Frauen gab. Füllungen und leider vor allem Extraktionen waren unsere Hauptbeschäftigung. Immer wieder mussten wir Patienten enttäuschen, die sich einen Schneidezahnersatz gewünscht hatten. Aber erstens waren wir dafür nicht ausgerüstet, zweitens hat der gewaltige Andrang unsere Kapazität ohnehin überfordert. Wir mussten immer wieder Patienten wegschicken, weil wir mehr nicht geschafft haben. Ohne die fleißige und aufmerksame Hilfe der beiden Krankenschwestern unseres Teams, Elisabeth und Kathrin, wären es noch mehr gewesen.

An zwei Tagen gaben wir den Lehrern und Kindergärtnerinnen Mundhygienetraining und Ernährungsberatung in der Hoffnung, dass diese das den Eltern und Kindern weiter vermitteln.

Wie so oft war diese fachliche Seite der Reise einerseits erfüllend, weil wir viele dringende Behandlungen durchführen konnten, aber durchaus auch enttäuschend, weil wir noch viel mehr notwendige Behandlungen unerledigt zurücklassen mussten.

Ein großer Dank gebührt unseren Dolmetschern Adalat und Odina, die so interessiert waren, dass sie schon nach wenigen Tagen selbständig Patienten aufklären konnten.

Ein einmaliges Erlebnis war der Tag der Einweihung der Krankenstation. Eine offizielle Delegation der Provinz Berg-Badachschan reiste an und wurde von einem Spalier aus Fähnchen schwingenden Kindern und einer Gruppe trommelnder Frauen erwartet. Ganz Basid und die umliegenden Dörfer hatten sich herausgeputzt. Der Gouverneur persönlich durchschnitt das rote Band vor dem Eingang und wurde durch alle Räume geführt. Anschließend trat er ans Podium und hielt eine lange Rede auf Englisch und Russisch. Auch Gisela und Peter, die den Bau des Hospitals organisiert hatten, und Thomas aus Zürich, der monatelang in Basid gelebt hatte, um die Baumaßnahmen anzuleiten, kamen zu Wort.

Danach gab es Lifemusik und alle, inklusive Kinder und Alte, tanzten hingebungsvoll die anmutigen einheimischen Tänze. Ein reichhaltiges Essen rundete den Abend ab.

Die Menschen sind voller Dank, nicht nur, weil sie wieder ein intaktes Krankenhaus haben, sondern auch, weil sie über die Jahre der Bauphase Einkünfte hatten.

Immer wieder wurden wir abends in Privathäuser zum Essen und zum Tanz eingeladen. Zum Abschied wurden wir überhäuft mit selbstgestrickten bunten Socken, getrockneten Aprikosen und zu Ketten aufgezogenen Mandeln. Wir waren so beeindruckt von der Fröhlichkeit, der dezenten Zugewandtheit und Gastfreundschaft der Menschen, dass beim Abschied einige Tränen flossen.

Für die drei Tage unserer Rückreise teilten wir uns in drei Gruppen auf, um auf verschiedene Trekkingtouren zu gehen. Wir fuhren mit dem Jeep das Bartangtal hinauf, gingen dann zu Fuß mit Übernachtung im Zelt und in der Jurte durch beeindruckende Hochgebirgslandschaften bis auf 4770 Meter Höhe. Zum Glück hatten wir zwei Esel fürs Gepäck dabei, sonst wäre das wahrscheinlich über unsere Kräfte gegangen.

Am Karakulsee, kurz vor der Kirgisischen Grenze, traf sich das ganze Team wie geplant wieder. Eine logistische Meisterleistung von Gisela, die den ganzen Einsatz so erfolgreich geplant und organisiert hatte.

An der Grenze zu Kirgisien hieß es dann (tränenreich) Abschiednehmen von unseren Meister-Fahrern (und Mechanikern) Odina und Nurali.

Auf der anderen Seite der Grenze erwartete uns bereits ein Kleinbus und brachte uns nach Osh, von wo wir nach Bishkek flogen. Dort genossen wir noch einen Tag mit Stadtführung und Besuch des Bazars, um am nächsten Morgen mit unseren Bergen von Gepäck über Istanbul nach Hause zu fliegen.

Wir bedanken uns sehr bei allen Teilnehmern und Helfern, die diese Reise möglich gemacht haben, und wir sind traurig, wie nötig und wie unzureichend sie war. Die Zuckerindustrie hat den letzten Winkel unseres Planeten erobert, Plastikverpackung inklusive. Die Konsequenzen sind ihr egal.

Dorothea Brandenburg, Dentists and Friends