Einsatzbericht Kanungu, Uganda 2023

Katate Health Center, 18.11.–6.12. 2023

Die Anreise erfolgte mit Turkish Airlines über Istanbul nach Entebbe mit Zwischenlandung
in Kigali / Ruanda. In Entebbe ist eine angenehme Stadt am Victoria See, ca. 35 km
entfernt von der Hauptstadt Kampala, dort eine Übernachtung im Hotel. Am nächsten Tag
Inlandsflug mit Aerolink nach Kihihi im Südwesten von Uganda, Flugzeit ca. 1,5 Stunden

Am Airstrip Kihihi wurde ich abgeholt vom Administrator des Krankenhauses, Martin
Atukwase, die Autofahrt zum Krankenhaus dauerte ca. 30 min. Unterkunft und
Verpflegung bekam ich privat bei einer sehr gastfreundlichen Familie in der Nähe des
Krankenhauses.
Das Katate Health Center in der Stadt Kanungu wird seit 2016 von dem deutschen
Chirurgen Dr. Holger Listle baulich saniert, erweitert und organisatorisch aufgebaut. Das
Krankenhaus leistet medizinische Grundversorgung, ambulant und stationär,
einschließlich der Betreuung von HIV-positiven Menschen

Weiterführende Informationen über das Projekt auf der Homepage:
https://www.katate-health-center.de/das-projekt/
Ein Schwerpunkt ist die Geburtshilfe. Die durchschnittliche Geburtenrate liegt in der
Region bei mehr als 7 Kindern. Pro Jahr werden mittlerweile 300 bis 400 Entbindungen
per Kaiserschnitt durchgeführt. Hierzu steht ein OP-Gebäude mit hohem hygienischem
Standard und autarker Solarenergieversorgung zur Verfügung.
Dr. Listle organisiert vor Ort zwei bis dreimal pro Jahr „Surgical Camps“. In dieser Zeit
werden unter seiner Anleitung kleinere Operationen wie Entfernung von benignen
Tumoren, Keloid-Korrekturen, Hernien-OPs und anderes mehr durchgeführt.
Die neueste Erweiterung ist ein zahnärztlicher Behandlungsraum im OP-Gebäude mit
einem Behandlungsstuhl aus chinesischer Produktion und einer Basisausstattung für
einfache Behandlungen. Röntgendiagnostik ist nicht vorhanden.
Kollege Tadeo Ahimbibisibwe ist als „Dental Officer Public Health“ fest angestellt und gibt
sich größte Mühe, die anfallenden Behandlungen zu meistern. Seine universitäre
Ausbildung ist eine Weiterbildung für Krankenpflegepersonal, mit Schwerpunkt auf
Zahnextraktionen und einfachen konservierenden Maßnahmen, Prothetik mit
abnehmbaren Kunststoffprothesen, sowie einfache Kronen- und Brückenversorgungen.

Der Abschluss „Dental Surgeon“ erfordert ein längeres Studium, vergleichbar mit unserem
Studium der Zahnmedizin.

Während meiner Anwesenheit wurde ein „Dental Health Camp“ abgehalten und auch im
örtlichen Radiosender angekündigt. In diesen zwei Wochen konnten wir 240 Patienten
untersuchen und behandeln. Das hohe Maß an Behandlungsbedarf wurde dabei deutlich.

Die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung im Südwesten von Uganda ist
ausgesprochen mangelhaft bis nicht vorhanden, und für den großen Teil der armen
Bevölkerung kaum zugänglich.

Ein naturgesundes Gebiss haben wir nicht gesehen. Dafür viele kariöse und tief zerstörte
Zähne, Wurzelreste, Zahnlücken mit entsprechenden Kippungen und Elongationen von
Nachbarzähnen. Die Mundhygiene ist regelmäßig insuzient, die meisten Menschen
besitzen keine Zahnbürsten oder andere Hilfsmittel. Manchmal konnten wir mit Zement
oder Composite, selten mit Amalgam gefüllte Zähne feststellen, die Qualität der
Restaurationen war dürftig.

Wegen der technischen Einschränkungen des Behandlungsstuhles und der begrenzten
Ausstattung mit Instrumenten und Material waren die Behandlungsmöglichkeiten
eingeschränkt. Der Speichelsauger funktionierte nur schwach, der Spraynebelsauger gar
nicht. Von drei Turbinenschläuchen funktionierte nur einer und konnte mit einer Turbine
genutzt werden. Das langsam rotierende Winkelstücke war beschädigt, das neue,
chinesische Handstück lief gar nicht. Bei der Pege des Behandlungsstuhles gibt es
Dezite. Die Sauganlage müsste häuger gespült werden. Hand- und Winkelstücke
bedürfen regelmäßiger Pege mit Öl.

Zahnextraktionen leistet Kollege Tadeo routiniert und erstaunlich schnell. Hingegen waren
meine Weisheitszahn-OP und einige operative Zahnentfernungen unter den
beschriebenen Bedingungen herausfordernd. Nicht zuletzt, weil mit Lidocain 2 %ig eine
ausreichende und länger anhaltende Anästhesietiefe kaum zu erzielen ist.

Die Füllungstherapie erfolgte mit Glasionomerzement oder Composite mit
Schmelzätztechnik. Ein Dentinadhäsivsystem (Syntac) habe ich selbst mitgebracht und in
einigen Fällen angewendet. Für die Anwendung von Koerdam konnte ich Kollegen Tadeo
begeistern, daher ist das das mitgebrachte Koerdam-Set bei ihm verblieben. Leider
kamen häuger Patienten wegen des Verlustes von Composite-Füllungen, oft alio loco
 
 

gelegt. Wir hoen, dass sich das mit absoluter und konsequenter relativer Trockenlegung
ändern wird.

Bei Schmerzfällen oder pulpa aperta durch Kariesexkavation konnten wir endodontische
Behandlungen einleiten. Mit Hilfe eines mitgebrachten Endometriegerätes haben wir eine
Aufbereitungslänge festlegen können. Die eigentlichen Wurzelfüllungen sind aber noch
deutlich verbesserungsfähig und zur Zeit nicht röntgenologisch kontrollierbar.

Kollege Tadeo lässt für zahlungsfähige Klientel auch Zahnersatz wie Kunststoprothesen
mit gebogenen Klammern, sowie einfache Kronen und kleine Brücken bei einem
Zahntechniker in Kampala (ca. 400 km entfernt) anfertigen. Methodisch müssen diese
prothetischen Behandlungen dringend überarbeitet werden.

Beispielsweise ist das Konzept der „reverse preparation“ meines Erachtens fachlich
absolut inakzeptabel. Ein Zahntechniker fertigt auf einem Situationsmodell Kronen oder
Brücken an und der Behandler trägt solange Zahnsubstanz ab, bis die Restauration
irgendwie drauf passt. Randschlusskontrolle mit einer Sonde unterbleibt, Okklusion ist
Glücksache. Ganz nach dem Motto meines Studienpartners und Zahntechnikers: „Form
und Farbe beisst sich ein.“

Die meisten Patienten weisen eine Vielzahl von unterschiedlichen Befunden auf. Eine
systematische Diagnostik, Planung und Durchführung von Therapien erfolgen bisher
nicht. Auch sollen die Patienten zumindest in zumutbarem Umfang für die
Behandlungskosten aufkommen bzw. sich beteiligen. Nach der Devise: „Was umsonst ist,
ist auch nichts wert“, sollen damit eine Wertschätzung des Behandlungsangebotes und in
Zukunft möglichst eine Deckung der Betriebskosten erreicht werden. Daher werden zur
Zeit nur Schmerzzustände oder die nötigsten Befunde behandelt. Viele Patienten können
oder wollen sich eine aufwendige Behandlung leisten.

Auch einige Extremfälle haben uns im Dental Health Camp aufgesucht. So konnten wir im
Falle einer disloziert verheilten Unterkiefer-Collumfraktur und Verlust jeglicher Okklusion
keine Therapie anbieten. Der ursächliche Motorradunfall lag drei Jahre zurück, und der
Patient wird mit der Mundönungsbehinderung und dem Verlust jedweder Kaufunktion
leben müssen.

 
 

Anders bei der eineinhalbjährigen Olivia, Tochter einer armen, alleinerziehenden Mutter
aus dem Volk der Pygmäen. Die Pygmäen wurden vor Jahrzehnten von der ugandischen
Regierung aus ihrem traditionellen Lebensraum im Bwindi Rainforest vertrieben. Viele
Pygmäen leben seitdem am Rande der Gesellschaft in Armut. Das Gebiet wurde zum
Nationalpark erklärt, um dort den Lebensraum der vom Aussterben bedrohten
Berggorillas zu erhalten. Mittlerweile ist daraus eine touristische Attraktion entstanden,
das sog. „Gorilla Trekking“.

Olivia wurde mit einer bisher unbehandelten Lippenspalte geboren,
was ein lebenslanges, deutlich sichtbares Stigma verursachen würde.

Mit Hilfe der Organisation „Deutsche Cleft Kinderhilfe e. V.“
(https://www.spaltkinder.org/)
konnten wir zu zwei ärztlichen Kollegen in einem Krankenhaus in der 150 km entfernten
Stadt Mbarara Kontakt aufnehmen. Ein Chirurg und ein Anästhesist arbeiten mit der
Organisation zusammen und sind erfahren in der LKG-Spaltchirurgie.
Dort wurde die isolierte Lippenspalte chirurgisch korrigiert. Die OP erfolgte kostenlos.
Transport, Unterkunft und Verpflegung von Mutter und Kind wurden mit einer Spende
finanziert.

Nach zwei Wochen ging der Einsatz zu Ende. Selbst habe ich nicht sehr viele
Behandlungen durchgeführt, mein Beitrag waren spezielle Behandlungen zu
Demonstrationszwecken.

Ich habe meine Aufgabe darin gesehen, die Arbeitsweise des Kollegen Tadeo unter den
ihm zur Verfügung stehen Bedingungen kennenzulernen. Wir haben Patienten gemeinsam
untersucht, Diagnosen, Behandlungsmöglichkeiten und Alternativen besprochen,
Erhaltungsmöglichkeiten von Zähnen diskutiert. Bei vielen Behandlungen habe ich
assistiert und mich bemüht, ihn weiterzubilden im Rahmen der bestehenden
Möglichkeiten. Einige bisher unbekannten Vorgehensweisen, Umgang mit Materialien und
Techniken wurden vorgeschlagen. Kollege Tadeo ist hoch motiviert und interessiert, er
möchte möglichst viel dazulernen.

Diese persönliche Voraussetzung ist wichtig! Dennoch wird es ein langsamer und
langwieriger Prozess sein. Zumal es wenige Fortbildungsmöglichkeiten in Uganda gibt
und die Wege zu den Veranstaltungsorten, meistens die Hauptstadt Kampala, weit und
beschwerlich sind. Nicht zuletzt erschweren die nanziellen Bedingungen die Teilnahme
an Fortbildungen.

Kollege Tadeo setzt sich auch ein für präventive Zahnmedizin. Er besucht immer wieder
Schulen in der Umgebung, um die Kinder und Jugendlichen über Zahnerkrankungen,
deren Vermeidung, Ernährungsfragen und Mundhygiene aufzuklären. Gerne hätte ich an
solchen Veranstaltungen teilgenommen. Aber wegen des Andranges vieler Patienten in
der Zahnarztpraxis blieb dafür nicht die Zeit.

Sehr beeindruckt haben mich die ruhigen und sympathischen Mitarbeiter des
Krankenhauses, deren freundliche Akzeptanz und Aufnahme, die Hilfsbereitschaft und die
positive Stimmung im Team.

Die aufrichtige Dankbarkeit für unser Engagement für die Menschen in Uganda wurde
immer wieder deutlich ausgesprochen, von Krankenhausmitarbeitern, von Patienten, von
oziellen Vertretern der örtlichen Verwaltung, selbst auf der Straße im Dorf.

Als „Mzungu“ (Weißer in der lokalen Sprache) habe ich mich in Kanungu und an allen
Orten in Uganda herzlich aufgenommen, sicher und wohl gefühlt!

Verabschiedet wurde ich mit einem gemeinsamen Mittagessen in großer Runde und den
eindringlichen Worten: „Please come again!“.

Ein Blick in die Zukunft
In der Zahnarztpraxis im Katate Health Center mangelt es noch an Ausstattung,
Instrumenten, Geräten und Materialien. Ziel ist, das zahnärztliche Niveau fortlaufend zu
verbessern. Es ist nicht beabsichtigt, die Zahnmedizin durch anreisende deutsche
Zahnärzte zu leisten. Vielmehr sollen örtliche Mitarbeiter zum eigenständigen Betrieb des
gesamten Krankenhauses angeleitet und befähigt werden.

Notwendig sind auch die organisatorische Weiterentwicklung der Zahnarztpraxis,
Verbesserung von Hygienemaßnahmen und vor allem Ausbildung von Kollegen Tadeo und
seiner Assistentin Brenda.

Brenda ist Krankenschwester ohne spezisch zahnmedizinische Weiterbildung oder
Erfahrung. Wie wir alle wissen, ist unsere zahnärztliche Tätigkeit ohne kompetente
Assistenz nur sehr eingeschränkt möglich! In diesem Zusammenhang wäre zu überlegen,
eine Zahnmedizinische Fachangestellte aus Deutschland einzubeziehen, um
Assistenzkräfte vor Ort anzuleiten. Weitere Aufgabengebiete wären Praxisorganisation,
Lagerhaltung, Behandlungsvorbereitung und Nachbereitung, Hygiene und Sterilisation,
Arbeitsergonomie in der Behandlungsassistenz.

Bei einem zukünftigen Einsatz in Kanungu ist geplant, die notwendigen Materialien für
Amalgamfüllungen im Seitenzahnbereich mitzubringen. Kollege Tadeo soll in dieser
Technik ausgebildet werden. Hierdurch ist eine zuverlässigere Versorgung von
Seitenzahnkavitäten zu erwarten.

Weiterhin sollten einfache endodontische Behandlungen mit überschaubarem Aufwand
ermöglicht werden. Prothetische Maßnahmen wie Zahnpräparation, Abformtechnik,
einfache Registrate und Okklusionskonzept, Einpassen und Eingliederung von Zahnersatz
sollten dringend optimiert werden ohne übertriebene Perfektion.

Dr. Joachim Wegener, im Januar 2024