Bericht Bolivien 2015 August


Famulaturbericht Bolivien Sommer 2015
Annika Kunzler, Annabella Beyer, Laura Leisner

Am 31.Juli waren die Rucksäcke gepackt und die Reise ging los. Am Frankfurter Flughafen trat dann unsere kleine Gruppe, bestehend aus unserer Zahnärztin Annette, ihrem Berufschulkollegen Reinhold und der Studentin Laura den Abflug nach Bolivien an. Am Morgen des 01. Augustes trafen wir am Flughafen von Santa Cruz auf Max Steiner von „Hostelling International Bolivia“ (HI-Bolivia), der uns in unser Hostel „Copacabana“ ins Stadtzentrum brachte. Dort war mit dem Treffen auf die Studentinnen Annika und Annabella aus Jena unser Fünfergespann vollständig.
In den ersten Tagen standen auch schon unsere ersten Projekte in Santa Cruz an, die Max Steiner gemeinsam mit Annette geplant hatten. Wir besuchten zuerst das Kinderheim „San Lorenzo“ im Stadtzentrum. Nachdem die Kinder in Gruppen eingeteilt wurden, referierte Annette über die Entstehung von Karies, Ernährung und die Bedeutung von regelmäßigen Zahnarztbesuchen. Anschließend bekam jedes Kind eine Zahnbürste und -pasta geschenkt und wir gaben ihnen Anleitung zum richtigen Zähneputzen. Die sauberen Zähne wurden anschließend von uns mit Fluoridlack bepinselt, was von den anderen Kindern mit großen Augen bestaunt wurde. Unser erster Abend endete mit einem Grillfest beim örtlichen schweizerisch-bolivianischen Verein. In den nächsten Tagen besuchten wir weitere Kinderheime und führten dort ebenfalls unser Aufklärungs- und Prophylaxe-Programm durch. Am letzten Tag waren wir dann noch in dem - auch für Annette neuem - Kinderheim „Hogar San Francisco“ am Stadtrand von Santa Cruz, wo schon verschiedene Projekte u.a. „Lentes para todos“ (Brillen für alle) erfolgreich gefruchtet hatten. So war auch die Resonanz in diesem christlichen Kinderheim durchweg positiv. In diesem Heim arbeiteten wir vor allem mit älteren Kindern und Jugendlichen, die an diesem Nachmittag zum Religionsunterricht bei Schwester Maria da waren. Gegebenenfalls wird hier eine kleine Praxis gemeinsam von „HI-Bolivia“ und „dentists and friends“ eingerichtet - als Gegenstück zum Consultorio auf der Isla del Sol, geeignet für Zahnärzte, die nicht so lange in Bolivien bleiben können.
Insgesamt ist laut unserer Zahnärztin Annette zu sagen, dass die Zähne der Kinder in den Ballungsräumen und Städten weitaus besser versorgt und von weniger großen Kariesdefekten befallen sind, als - aufgrund der Erfahrungen auf der Isla del Sol - wir zuvor angenommen hatten.

Nach den Tagen in Santa Cruz stand die Weiterreise nach Sucre an, die wir drei Studentinnen mit dem Nachtbus über 14 Stunden Fahrtzeit wagten, Reinhold und Annette bevorzugten einen Inlandsflug. In Sucre stand für uns eine Akklimatisationszeit an, in der wir uns an die Höhe des Landes gewöhnen wollten. In der wunderschönen Kolonialstadt erlebten wir auch den einige bolivianische Feste mit, die mit vielen Straßenumzügen laut und bunt über mehrere Tage gefeiert wurde. Auch eine Wanderung auf einen der benachbarten Berge stand an und es wurden die ersten Souvenirs, von Einheimischen hergestellt, gekauft.

Nun trennte sich unsere Gruppe für die nächste Woche, denn wir wollten neben zahnmedizinischen natürlich auch kulturelle Erfahrungen sammeln und Land und Leute kennen lernen. So ging es für uns, Annabella, Annika und Laura, mit dem Bus in die Minenstadt Potosi, in der wir eine Tour durch den für die Region so bedeutenden Berg „Cerro Rico“ machten. Beeindruckt von der Arbeit der Minenarbeiter und vor allem der Arbeitsbedingungen, die an den Tagebau zur Zeit in Europa vor 100 Jahren erinnerten, ging es weiter nach Uyuni, Ausgangspunkt für eine mehrtägige Jeep-Tour durch den Salar de Uyuni. In einer kleinen Gruppe führte uns ein Guide mit dem 4x4-Jeep durch die Salzwüste. Vorbei an einem Eisenbahnfriedhof ging es stundenlang über die Salzpiste bis zu einer Kakteeninsel. Natürlich durfte die für diese ebene Landschaft bekannten Fotos - springend oder gejagt von Tyrannosaurus Rex - nicht fehlen. Unsere letzten Stopps waren dann noch das Salzhotel, eine Abbauregion für das Salz und ein Vulkan. Die erste Nacht verbrachten wir dann bei Minusgraden in einem Hostel, von dort sollte es am nächsten Tag um 5 Uhr weiter gehen. Im Sonnenaufgang erreichten wir die Eisenbahnlinie von Peru nach Bolivien und näherten uns nun langsam der Andenregion, wo wir die wunderschönen Lagunen mit den Andenflamingos sahen. Auch die zweite Nacht war kurz und kalt, deshalb freuten wir uns umso mehr, als wir am dritten und letzten Tag nach Geysiren auf 5000 m Höhe „hot springs“ erreichten und uns bei über 40 Grad warmen Wasser erst einmal aufwärmen durften. Unseren nächsten Stopp machten wir an der chilenischen Grenze, wo sich ein Teil unserer Gruppe in die Atacamawüste verabschiedete. Für uns stand dann die lange Rückfahrt nach Uyuni an, von dort aus nahmen wir den Nachtbus nach La Paz.

In höchst gelegenen Regierungssitz der Welt angekommen, wurden wir erst einmal von Schneefall begrüßt. Auf der einen Seite bei dem mit 4100 m Höhe gelegenen El Alto nicht verwunderlich, auf der anderen Seite hätten wir im beginnenden Frühling und nach den kalten Tagen im Salar milde Temperaturen ersehnt.
In den nächsten Tagen würden wir glücklicherweise Besserung erwarten. Im Hostel angekommen, war unsere Gruppe wieder vollständig und wir traten am nächsten Tag zusammen die „Death Road Tour“ an. Vom Pass „El Cumbre“ auf 5000m Höhe ging es in einer Gruppe, ausgestattet mit Schutzkleidung und Helm, 33 km und gute 3000 m Höhe hinab in die tropischen „Yungas“. Leider brach sich Reinhold bei einem Sturz das Schlüsselbein, sodass wir unsere Abfahrt nach Copacabana wegen seines Krankenhausaufenthaltes um wenige Tage verlängern mussten.

Dann war es endlich soweit - die Abreise in Richtung Isla del Sol stand bevor. So ging es früh am Morgen schwer bepackt mit unserem Gepäck und 600 Zahnbürsten und -pasten mit dem Bus nach Copacabana, wo unser Boot für ca. 2,5 Stunden über den Tititcacasee auf die Isla del Sol fuhr. Die Isla del Sol ist vor allem in der Geschichte der Inkas bekannt, denn dort hätte der Sonnengott seinen Sohn auf die Erde geschickt und somit das Inkavolk gegründet. Letztendlich kann man auf der Sonneninsel viele Stätten der Inkas finden.

Das kleine Bötchen brachte uns über das wellige Wasser zum Ort „Cha‘lla“, wo wir schon von Nelson, unserem Herbergsvater empfangen wurden. Während der Zeit auf der ca. 12 km langen Isla del Sol wohnten wir im Hostel „Playa del Sol“, das er gemeinsam mit seiner Frau „Sol“ vor allem für Voluntarios (Freiwillige) und Backpacker betreibt. Wir drei Studentinnen bezogen für diese Zeit ein Dreibettzimmer mit einem kleinen Bad, Annette und Reinhold hatten Einzelzimmer. Dann gab es noch ein separates Gebäude mit Küche und Aufenthaltsraum. Nach der Ankunft ging es am nächsten Tag auch schon zu unserem ersten Einsatz in die benachbarte Schule Cha‘llas. In dieser Schule werden in der „Primaria“ Kindergartenkinder und Grundschüler unterrichtet. Außerdem gibt es eine „Sekundaria“, in der der Unterricht für Schüler bis 18 Jahre stattfindet. So begannen wir in den ersten Tagen mit den Jüngsten. Zuerst hielten wir unseren Aufklärungsvortrag, in dem wir anhand eines Tafelbildes die Entstehung von Karies und deren Risikofaktoren, wie beispielsweise Ernährung, erklärten. Eine weitere Säule der Prophylaxe schilderten wir außerdem in der Bedeutung des Zahnarztbesuchs, mit dem wir die Schüler für den Besuch des Consultorios, unserer Praxis, motivieren wollten. Der letzte und auch entscheidende Punkt war das Zähneputzen. So demonstrierten wir und auch mittels Modell und Plüschtier die wichtigsten Punkte des Zähneputzens. Nach unserem Vortrag bekam jeder Schüler eine Zahnbürste und -pasta aus den Spenden von „dentists and friends“ und sogleich gingen wir mit den Schülern auf den Hof und putzten gemeinsam die Zähne. Es war für uns verwunderlich, dass selbst Jugendliche oft noch nicht genau wussten, wie man eine Zahnbürste überhaupt richtig hält. Unsere Ratschläge und Hilfestellungen wurden gut angenommen und somit konnten die nun sauberen Zähne mit einem Lack fluoridiert werden.
Unserer Zahnärztin liegt besonders viel an diesem Aufklärungsprogramm und man kann nach sechs Jahren Arbeit zwischen all den „Zahnruinen“ auch das ein oder andere kariesfreie Gebiss finden. Diese Aufklärung prägt die Kinder und Jugendlichen und integriert die Mundhygiene schon von Anfang an in den Alltag - eine Grundvoraussetzung für Zahngesundheit. So bestanden die Vormittage der nächsten knapp zwei Wochen aus der Arbeit in den Schulen. Nachdem wir gut 200 Schüler in Cha‘lla versorgt hatten, besuchten wir die Schule in „Cha‘llapampa“, dem Nachbarort. Dorthin wurden wir entweder per Boot gebracht oder an manchen Tagen mussten wir den Wanderweg, bepackt mit all unseren Materialien, auch schon einmal in einem dreiviertelstündigen Fußmarsch bewältigen. Auch in Cha‘llapampa wurde unsere Prophylaxe mit großem Interesse von den Schülern und Freude von den Lehrern aufgenommen. Bei einem Vortrag vor der „Secundaria“ konnte unsere Zahnärztin Annette eine große Gruppe von Schülern unterrichten.

Nach der Aufklärungsarbeit in den Schulen waren wir wieder zurück im Hostel, wo uns Sol mit Vollverpflegung versorgte. Danach marschierten wir gut zwanzig Minuten, zuerst am Strand entlang dann einen Berg hinauf, bis zum Ortskern von Cha‘lla. Die auf 3800m gelegene Insel lässt uns ihre Höhe auch ein bisschen in Form von kurzem Atem spüren, doch es besserte sich mit der Zeit. Oben angekommen befindet sich ein Platz mit Kirche und Bürgersaal, daneben befindet sich das „Consultorio“, das „dentists and friends“ im Jahr 2013 eröffnet hat. Unsere kleine Praxis ist gut ausgestattet: Es gibt einen modernen Zahnarztstuhl mit einer kleinen, halbwegs funktionierenden Absauganlage, einer Turbine, Ultraschall und sogar einer Intraoralkamera. Leider waren der Motor für das Winkelstück und auch der große Sauger seit Einrichtung nicht in Betrieb zu bekommen. Neben des Stuhls befinden sich dort noch viele mit Materialien gefüllte Schränke und ein Heißluftsterilisator. So begannen wir die ersten Arbeitsstunden erst einmal mit der Inventur: Neben einem gründlichen Putz standen das Aussortieren der abgelaufenen Materialien, Sortieren und Sterilisieren der Instrumente an. Außerdem wurde der durch eine Spende erhaltene Amalgamrüttler aufgebaut. Für die Zukunft ist geplant, mehr Amalgamfüllungen vor allem an nicht trockenzulegenden Kavitäten zu legen.
Schon ab dem ersten Nachmittag bekamen wir Besuch von den Bewohnern der Insel, die sich zuerst zögernd, später immer mutiger der Praxis näherten. Vor allem Kinder waren Dauergäste.

Die Isla del Sol stellt im Großen und Ganzen das Sinnbild eines Entwicklungslandes dar: geprägt von Landwirtschaft hält hier jede der vielen Großfamilien einige Kühe und Schafe und nicht zuletzt mindestens einen Esel, die sich in ihren Rufen auf der Insel abwechseln. So ist es üblich, dass die Kinder nach dem Schulunterricht auf der Weide die Tiere hüten. Nichts desto trotz war das Interesse an einer zahnmedizinischen Behandlung groß. Die sehr insuffizienten Gebisssituationen erforderten vor allem Extraktionstherapien der tief kariös zerstörten Zähne oder auch Wurzelreste. Erschreckend für uns war - durch den Eindruck während unseres Einsatzes in den Schulen bestärkt - die weit verbreitete Karieserkrankung schon bei den Kleinsten. So zieht sich dieses Bild von den Milchzähnen über das jugendliche Gebiss bis hin ins hohe Alter. Neben der mangelnden Mundhygiene stellt vor allem die falsche Ernährung, die sich in Form von Cola und Süßigkeiten im Kiosk und auch in der Schule äußert, eine große Rolle. So kostet eine Flasche CocaCola genauso viel wie Wasser. Bei fehlendem Zähneputzen der ideale Nährboden für Karies. Die Erkrankungen reichen bei den Kindern schon bis hin zu Pulpapolypen und Fisteln - überraschend für uns, dass das laut Patientenaussage schmerzfrei sein sollte. So bestand unsere Arbeit vor allem aus Extraktionstherapie. Nach einer Anästhesie mit Lidocain konnten wir mit den entsprechenden Zangen die Zähen entfernen, wenn es uns auch oftmals nicht leicht viel, egal ob es ein fest sitzender Molar eines 18-Jährigen, Wurzelreste oder ein 6-Jahr-Molar einer 8-Jährigen war.
Dennoch waren unsere Patienten danach erleichtert und würden schmerzfrei werden. Neben dem Zähneziehen war die Füllungstherapie der zweite Bestandteil unseres Praxisalltags. Frontzahnfüllungen oder trocken zu legende Läsionen im Seitenzahngebiet konnten wir gut mit Adhäsivsystem und Komposit versorgen. Die weitaus häufigeren tiefen Kavitäten füllten wir dann mit Amalgam, das vor allem unter erschwerten Arbeitsbedingungen wie auf der Isla eine bessere Prognose als der Kunststoff hat. Nicht zuletzt gab es auch einige Patienten, die eine „limpieza“ - eine Zahnreinigung wünschten. So konnten wir ihnen mit unserem Ultraschallgerät Erleichterung von den Zahnsteinwänden schaffen. Gegen 18 Uhr, häufiger auch länger, schlossen wir nach dem Putzen unsere Praxis und liefen wieder zurück, diesmal bergab, zu unserem Hostel. Dort machten wir uns gemütliche Abende, verpflegt von Sol‘s Abendessen. Ohne jegliche Internet- und Handyverbindung bestanden unser Feierabend vor allem aus Lesen und Beisammensitzen ehe man früh ins Bett ging. An den Wochenenden war unsere Praxis Samstags geöffnet und Sonntag war unser freier Tag. So war an diesen Tagen Zeit, die Insel kennen zu lernen. Das geschah vor allem im Wandern, entweder machten wir eine Tagestour über den „Inkapfad“, auf dem man an bedeutenden Stätten des Inkamythos, wie dem Sonnentempel vorbeikommt. Oder wir besuchten die Nachbarorte, die teilweise weitaus touristischer waren als unser kleines Örtchen, und genossen einen Nachmittag in einem Restaurant.
Nach unserer Famulatur verließen wir Anfang September die Insel und unsere Reisegruppe trennte sich, entweder nach Santa Cruz und in die Heimat oder zur Weiterreise in Richtung Peru - wie wir drei Studentinnen.

Insgesamt ist zu sagen, dass wir eine sehr schöne Zeit auf der Isla del Sol hatten. Wir wurden sowohl in Sachen Prophylaxe geschult und die Bedeutung der Aufklärung - insbesondere in Entwicklungsländern - bekam dadurch für uns eine ganz andere Rolle. Auf der anderen Seite lernten wir im Praxisalltag viel in Sachen Therapieentscheidung und - behandlung, Extraktionen und Füllungstherapie, was uns für die nächsten Semester und vor allem für den späteren Praxisalltag von großer Hilfe sein wird.

Annika, Annabella und Laura