Einsatzbericht Chaco/Paraguay 21.11.2012 - 7.12.2012
Nach einiger Recherche fand ich im Internet die Seite von Herrn Kollegen Dr. Amelunxen über sein zahnärztliches Hilfsprojekt im Chaco, was in Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche schon seit einigen Jahren in Paraguay besteht. Die Berichte und Photos muteten abenteuerliches an, so nahm ich schnell Kontakt auf.
Zur Vorbereitung nahm ich einige Stunden Spanischunterricht, um meine verschütteten Sprachkenntnisse aufzufrischen. Schwieriger war es für diesen Zeitraum eine Assistenz zu finden. Zum Glück konnte ich kurzfristig meine Schwester Franka für mein Vorhaben gewinnen.
Nach einer beidruckend großen Hochzeitsfeier von Freunden in Asunción, was der ursprüngliche Anlass war, nach Paraguay zu reisen, nahmen wir zu Oscar, einem Mitarbeiter des Vikariats in Asunción, Kontakt auf. Ausgestattet mit einer Materialliste der Kolleginnen aus dem Vorjahr, musste ich mir überlegen, was ich an Material alles noch brauchen könnte, da sich das vorhandene Material auf den Missionen im Chaco befand. Nach einigem Blättern im Wörterbuch hatten wir unsere Einkaufsliste erstellt und fuhren damit mit Martin ins Dentaldepot Guaraní, wo wir mit unserem einfachen Spanisch bzw. meine Schwester auf Portugiesisch für weitere Erheiterung sorgten.
Nachdem jeder unserer Gastgeber in Asunción entweder schauerliche oder wundersame Geschichten über den Chaco auf Lager hatten, obwohl keiner von ihnen zuvor dort gewesen war, wollten wir DEN Chaco endlich selbst kennen lernen.
Am frühen Morgen holte uns Padre Anuncio ab. Mit unserem Material, Gepäck und einigen Säcken Obst war das Auto gut bepackt. Die Hitze war da schon für uns unglaublich, umso schneller gewöhnten wir uns an das dauernde Tereré-Trinken.
Der Trans-Chaco führt mehr oder weniger gerade über 530km bis nach Mariscal Estigaribia, wobei die Straße wie eine Fata Morgana mit dem Horizont verschwimmt. Die weite und flache Landschaft war zuerst mit Sümpfen und Palmenwald, später mit eher trockenem Busch bewachsen. Der eine oder andere Nandu und natürlich Rinderherden boten Abwechslung. Anuncio erzählte uns viele Geschichtchen und so waren wir schnell vom Chaco vereinnahmt.
Auf halber Strecke kündigte schon das Autoradio die Ankunft der Dentistas an. Kurz darauf hielten wir dann auch über Mittag bei der Radiostation Paí Puku an. Nach der Siesta fuhren wir nach Mariscal, wo wir im Haus vom Bischof untergebracht wurden.
Bald lernten wir auch die Schwestern Flor und Maria-Angeles kennen, die uns mit nach Santa Teresita nahmen, um die gut verpackten Kisten zahnärztlichen Materials zu sichten und mit zu nehmen. Neben dem Bischofsitz bauten wir unser Consultorio in einem Schulzimmer auf. Die tragebare Einheit ‚la maquina’ funktionierte einwandfrei. Behandlungsstuhl war ein modifizierter Gartenstuhl. Wasser wurde in großen Eimern von fleißigen Helfern, die dann auch die ersten Patienten waren, herangeschafft. Die meisten Patienten fragten nach neuen Prothesen, Reparaturen, wenige Extraktionen und Füllungen. So machten wir uns fleißig an Abdrücke ausgießen usw. Die Instrumente wurden abends in einem Druckkochtopf sterilisiert. Schnell lernten wir, dass man dafür nicht das versalzte Leitungswasser nehmen sollte.
Auch der feine Staub, der in jeden Winkel kriecht, machte uns zu schaffen. Des Nachts machten wir Bekanntschaft mit Skorpionen und verschiedensten Spinnen. Dankbar haben wir von dem Spinnenspray und einer Enzyklopädie Gebrauch gemacht.
An einem Sonntag brachen wir früh mit Padre Rafael auf, um zu einer 2 Stunden entfernt liegenden Gemeinde von Nivaclé Indianern zu fahren. Zum Glück hatten wir eine Übersetzerin dabei, die von Spanisch ins Nivaclé übersetzte. Nach der Messe, wo Rafael gleich drei Eheschließungen und mehrere Taufen vollzog, wurde die Gemeinde eingeladen, die Dentista zu besuchen. Da ich keine Prothesen bieten konnte, ließ das Interesse nach wenigen Patienten nach. Der Solarstrom reichte auch nicht aus, um die Einheit zu betreiben. So beobachteten wir das Festessen der Dorfbewohner, was aus Nudeln, Reis und Weißbrot bestand. Anschließend konnten wir die zahlreichen Kinder mit Zahnbürsten zur Gruppenprodfpe locken, was dringend nötig war, da kaum Mundhygiene betrieben wird. Auf der Rückfahrt übte ich mich im Sandpisten fahren, wohl gemerkt mit dem originalen Papamobil von 1988, und hatte Mühe, keine Leguane, Schlangen oder Gürteltiere zu überfahren. (Papst Johannes Paul hatte tatsächlich Mrscl.Estigarribia besucht!)
Nur der Tapir, welcher Padre Anuncio anderentags vor die Flinte lief, hatte weniger Glück, aber er schmeckte vorzüglich, fast wie Wildschwein.
Die lange Fahrt zum nächsten Einsatzgebiet in Fischat, an der argentinischen Grenze gelegen, war nicht weniger spannend, zumal die einzige Holzbrücke weggeschwemmt war. Doch auch da half unser ständiger Kontakt zur Radiostation und Schwester Hermelindas Gebete, denn die Brücke konnte schnell provisorisch repariert werden. Die teilweise schlammige Sandpiste wurde verschönert von Millionen hellblauer Schmetterlinge, die auseinander flogen, sobald sich unser großer Jeep näherte.
Die aus den 30er Jahren stammende Mission ist nur noch bewohnt von Schwester Hermelinda und Paí José. Zu unseren neuen Mitbewohnern gehörten nun auch Frösche im Badezimmer. Die nächsten Tage fuhren wir jeweils früh nach Esteros, einer weiteren Mission, wo wir es uns in einem Schulzimmer oder bei zu großer Hitze (über 40°C) unter einem Schattenbaum häuslich einrichteten. Strom für die Einheit bezogen wir vom mitgebrachten Generator. Hauptsächlich waren jedoch Extraktionen notwendig. Patienten gab es reichlich und sie standen meist immer Schlange. Meistens kommen nur die Nivaclé-Frauen zur Behandlung und nur wenige Männer oder Kinder. Insgesamt sind sie ein sehr ruhiges zurückhaltendes Volk, wo vor allem die Frauen das Sagen haben.
Beim nächsten Einsatz sollte hier etwas mehr als eine Woche verbracht werden, damit evtl. auch Prothesen eingegliedert werden können. Ebenso in Fischat behandelten wir meist open-air. Die Instrumente mussten wir uns mit Taschenlampen im etwas chaotisch hinterlassenen und geschlossen Gesundheitsposten zusammen suchen. Vor allem Verbrauchsmaterial und Anästhetika schienen zu fehlen. Auch in Paraguay ist einiges im Umbruch, da der Staat nun versucht, die Gesundheitsversorgung zu organisieren.
Nach einer langen schaukeligen Fahrt im Lkw mit ca. 30 Nivaclé-Jugendlichen, die zu einem nationalen Kirchentreffen wollten, ging es zurück zum Asphalt. Die letzten Tage behandelten wir wieder in Mariscal und konnten auch die aus Asunción gelieferten Prothesen einsetzen bzw. passend machen.
Ein Ausflug mit Paí Rafael führte nach Filadelfia, einer der drei Mennoniten Kolonien im Chaco. Dort wird man auf deutsch im Laden bedient und kann sich im Buchladen mit neuester christlich-mennonitischer Literatur eindecken.
Die Weite und Einsamkeit des Chacos, der Sternenhimmel, die Teufelspizza im Venecia, aber vor allem das Leben und die Geschichten unserer neuen Bekannten werden uns in Erinnerung bleiben.
Eine rasante Fahrt über den schlaglochreichen Trans-Chaco mit Bischof Lucio brachte uns wieder zurück in die Hauptstadt.
Dass eine Weiterführung des Projekts im nahezu unversorgten Chaco notwendig ist, muss nicht extra erwähnt werden. Zeitweise Zweifel am Sinn unserer Arbeit, vor allem im Hinblick auf fehlende Aufklärung und Verständnis der indigenen Bevölkerung, oder gar Nachhaltigkeit wurden meist durch ein Patientenlächeln wieder zerstreut. Denn die Nivaclé kennen kein direktes Wort für ‚danke’ in ihrer Sprache.
Alles in allem eine erfüllende und beeindruckende Reise, die den Wunsch auf eine Wiederkehr geweckt hat.
Freia Mehlhorn
Dresden, 20.01.2013