Unser Einsatz im Chaco im Mai 2014
Die Vorbereitungen begannen schon Ende 2013. Die zeitliche Organisation hatte Dr. Amelunxen, der Projektleiter, übernommen, die Logistik übernahm der Bischof Monsenor Lucio vom Vicariato Apostolico del Pilcomayo (VAP), wie in den Jahren zuvor und uns blieben unsere eigenen und zahnärztlichen Dinge vorzubereiten. Das war umfangreich genug.
Neben den Dingen des eigenen täglichen Gebrauchs nahmen wir einen ganzen Koffer an zahnärztlichen Instrumenten und Verbrauchsmaterial aus der eigenen Praxis mit, ohne so genau zu wissen, was vor Ort am nötigsten gebraucht werden würde. Für diesen dritten Koffer mussten wir zum Glück auch kein Übergepäck bezahlen und bei der Einreise in Asuncion auch keinen Zoll.
Noch am Abend unserer Ankunft nahmen wir telefonisch Kontakt mit dem VAP auf, um am nächsten Tag die dort eingelagerte Ausrüstung in Augenschein zu nehmen, die für uns erforderlichen Sachen auszusuchen und nach einer Einkaufstour im Dental-Guarani zu ergänzen. Am nächsten Tag um 8 Uhr sollte es los gehen und wir konnten den freien Nachmittag für einen Besuch in Asunción benutzen. Verglichen mit mir bekannten großen Städten in Südamerika ist es ganz schön runtergekommen.
Monsenor Lucio kam deutsch pünktlich kurz vor 8. Gemeinsam fuhren wir zu unserer ersten Behandlungsstation dem Internat San Isidro in Pozo Colorado. Auf dem Weg dorthin statteten wir der Schule Pai Puku einen kurzen Besuch ab und bewunderten die Erzeugnisse aus deren Schreinerei.
In San Isidro sind ca. 300 Kinder, Buben und Mädchen zwischen 6 und 16, die dort die Primar- und Sekundar-Schule durchlaufen. Die Ausbildung endet mit dem Abitur. Dort sollten wir 4 Tage bleiben und behandeln. Noch am Nachmittag konnten wir unsere »Praxis« in einem separaten Raum neben dem »Sprechzimmer« von Schwester Amalia aufbauen und sie übernahm auch die Organisation unserer jungen Patienten. Früh um 7 ging es am nächsten Tag los und unsere Behandlungszeit endete erst am Abend nach 19 Uhr, wurde aber durch 3 Pausen zum Essen unterbrochen, das wir zusammen mit den drei Schwestern in deren Haus einnahmen. Es wurde gut und abwechslungsreich gekocht und wir waren für die Pausen auch dankbar. Die » Arbeit unter erschwerten Bedingungen« ist doch recht anstrengend.
Wir konnten die Klassen 1-3 und die halbe 4. Klasse »grundsanieren«, will heißen, die zerstörten Milchzähne und leider auch bleibende Molaren, 6er und teils auch 7er extrahieren. Einige Füllungen waren auch möglich. Unser mobiles Gerät, der »Bohrturm« wie ihn Kollege Amelunxen getauft hatte, bestückt mit Turbine und Mikromotor und der Klappstuhl aus Beständen der Bundeswehr, waren uns dabei eine große Hilfe.
In der zweiten Nacht hatte es tropisch zu regnen begonnen und am Morgen stand alles knietief unter Wasser. Eigentlich ungewöhnlich für die Jahreszeit, aber der Regen sollte uns während unseres ganzen Einsatzes begleiten. Nach dreieinhalb mühevollen Behandlungstagen wurden wir von Pater Anuncio, einem wahren Riesen an Körpergröße abgeholt und mit ihm fuhren wir weiter nach Mariscal Estigarriba unserer nächsten Station. Unterwegs konnten wir in Filadelfia, der Stadt der Mennoniten, wo deutsch gesprochen wird und im Supermarkt alles auf deutsch angeschrieben ist, unser Material ergänzen. Rechts und links der Transchaco (einzige Asfaltstraße im Chaco) stand tief das Regenwasser und auf der Straße nahm die Zahl der Schlaglöcher beängstigend zu.
Unser Quartier war im neuen Pfarrhaus und zum Behandeln ging es am folgenden Tag »auf die Dörfer« in Campo Loa, über Sandstrassen mit tiefen Löchern, durch den Regen der letzten Tage mit Wasser gefüllt. Eins von ihnen hätte unsere Fahrt fast beendet. Unsere Ankunft als Zahnarzt wurde vom lokalen Radio verbreitet und nach etwa einer Stunde kamen die ersten Patienten. Einmal behandelten wir in der Kirche und im zweiten Dorf in der Schule und befreiten diesmal erwachsene Indigena von ihren Zahnschmerzen mit Hilfe der Zange. Ohne elektrischen Strom geht halt sonst nichts. Am folgenden Tag richteten wir unsere Zahnstation in einem Nebengebäude der Pfarrei in Mariscal ein und konnten dort unter etwas besseren Bedingungen neben Extraktionen sogar einige Füllungen machen und Zahnstein entfernen. Als Hilfe hatten wir wieder eine kirchliche Schwester, die mit ihren 2 Mitschwestern separat im ehemaligen Pfarrhaus wohnen. Es sind übrigens alle drei Spanierinnen, die irgendwann einmal hier hängen geblieben sind.
Unsere nächste Station war Pedro P. Peña, wo wir 5 Tage bleiben sollten. Es liegt weit im Nordwesten, wirklich fast am Ende der Zivilisation, nahe an der Grenze zu Argentinien. Strom gibt es nur vom kommunalen Generator, 2 Stunden täglich, abends von 7 bis 9.oo Uhr. Pater Carlos hat uns in Mariscal abgeholt und nachdem alle sonst verfügbaren Autos nicht fahrbereit waren, mussten wir die »Ambulanzia«, einen Toyota mit geschlossenem Aufbau, nehmen. Eigentlich habe ich gedacht, es wäre ein Vorteil, aber wir hatten zu dritt vorne wenig Platz zum Sitzen und hinten waren unsere Sachen auch nicht besser geschützt, wie auf einem Pickup, denn der feine Staub dringt auch durch die kleinste Ritze und überzieht alles mit einer feinen, grauen Schicht.
Auf der Fahrt hatten wir einen Unfall, bei dem zum Glück niemand verletzt wurde, nur die Bremsschläuche vorn links und hinten rechts wurden durchtrennt und die weitere Fahrt lief etwas vorsichtiger ab, was den Fahrgewohnheiten von Pater Carlos nicht entsprach. Kurz vor Einbruch des Abends kamen wir in Pedro P. Peña an und bezogen unser neues Zuhause, einen Raum mit 2 Betten, Schrank, Tisch und Stuhl im ehemaligen Haus der Schwestern, die aber nicht mehr da waren. Wir erfuhren später, dass sie von verschiedenen Seiten »gemobt« worden waren und sich daraufhin entschlossen hatten, den Ort zu verlassen und anderswo weiter tätig zu sein. Erstaunlich, aber das gibt es wohl überall auf der Welt und nicht nur bei uns.
Unsere Anwesenheit wurde am Sonntag in der Messe allen mitgeteilt und wir konnten uns dann vor Patienten kaum retten. Wir hatten im Puesto de Salud einen eigenen Raum bekommen und so ausgezeichnete Voraussetzung für unsere Behandlungen, die leider, wie überall vorher, auch meist nur aus Extraktionen bestanden. Es ist schon erschreckend; Kinder im Zahnwechsel mit meist schon zerstörten Molaren und völlig zerstörten noch vorhandenen Milchzähnen und Erwachsene bereits mit stark gelichtetem Zahnbestand, der weitestgehend bis auf die Gingiva zerstört ist, so dass die Zange keinen Halt mehr findet.
Deutliche Unterschiede fanden wir bei den verschiedenen Indigenen. Die Guarani haben einen Knochen wie Eisen, die Zahnkronen in der Dimension größer, wie bei uns und die Wurzeln etwa um die Hälfte länger. Bei einer Gruppe hatten die unteren 6er eine zweite distale Wurzel, die weit lingual im Knochen steckte und sich jeder Zahnentfernung widersetzte. Da war eine normale Extraktion unmöglich und ich war froh um den Bohrturm und die Zekrya Bohrer, die ich wohlweislich mitgenommen hatte. Bei den Nivaclé und den Mancui war die parodontale Stabilität dagegen eher mäßig, die Zerstörung der Zahnkronen aber gleich fortgeschritten. Deshalb gingen die Zähne oder deren Reste leichter raus.
Dort haben wir 4 Tage behandelt, wieder von 7 bis 7 leider nur mit einer kurzen Mittagspause. Verpflegt wurden wir in der Pfarrei, wo eine Indigena gekocht hat. Die Ernährung war dort eher sehr einseitig und einfach. Beim nächsten Mal sollte man sich vorher selber wenigstens mit Obst versorgen, denn es gibt dort nichts Frisches zu kaufen.
Einen Behandlungsausflug haben wir nach Pozo Hondo gemacht, das ca. 40 Km entfernt direkt an der Grenze liegt. Man hatte uns einen Tag früher erwartet und die Patienten hatten sich inzwischen verlaufen und weil Feiertag war, waren sie auch nicht so schnell wieder verfügbar. Dafür hatte Pater Carlos 3 Messen zu halten und 5 Taufen.
Ab dem zweiten Tag hatte es leicht, aber stetig zu regnen begonnen und auf den Sandstraßen bildeten sich die ersten Pfützen. Am Tag vor unserer Abreise war klar, dass wir unseren nächsten Einsatzort, die Schule in Pirizal, nicht würden anfahren können. Klar war auch nicht, ob die Strasse zurück nach Mariscal überhaupt noch befahrbar war. Zum Glück hatte es in der letzten Nacht nicht weiter geregnet und so wagte Pater Carlos die Rückfahrt. Wir saßen wieder vorne zu dritt, der Laderaum hinten war vollgestopft mit Sachen und drei weiteren Mitreisenden. Die Fahrt glich einem Ritt auf einem wilden Gaul. Es war nur möglich, die Wasserlöcher und Spurrillen auf der Straße mit Vollgas zu durchqueren und so wurden Mensch und Material im Inneren des Autos immer wieder bis an die Decke katapultiert. Einiges ging auch zu Bruch und wir mussten mehrmals aussteigen und ein Stück durch den Matsch gehen um dadurch das Auto zu erleichtern. Eine willkommene Unterbrechung für unsere Begleiter war die erfolgreiche Jagd auf 2 Rehe, die uns später zum Abendessen serviert wurden.
Die nächste Nacht verbrachten wir in dem uns bereits bekannten Pfarrhaus in Mariscal, konnten aber wegen der vielen Mücken diesmal nicht recht schlafen und waren zum ersten Mal froh über unsere Mosquitonetze. Vor dem Abendessen stieß auch Mons. Lucio wieder zu uns. Er kam direkt aus dem Internat San Isidro, das wegen des Hochwassers evakuiert werden musste. Die Helfer haben die kleineren Schüler auf dem Rücken ins Trockene getragen, die Mädchen wurden in der Kirche in Pozo Colorado untergebracht, die Jungen in der Kaserne. Wegen der Überflutung weiter Teile im Chaco kam als unsere nächste Einsatzstelle nur noch ein Ort in Frage, der dicht neben der Asphaltstraße liegt.
Am folgenden Tag fuhren wir mit Mons. Lucio in die Schule bei der Pfarrei San Eugenio, die gleich neben Radio Pai Puku liegt. Dort wurde unsere Anwesenheit als Zahnarzt wieder in der morgendlichen Messe verkündet; wir sollten dort die nächsten drei Tage behandeln und hatten nach ein paar Stunden reichlich zu tun.
Vor unserer Rückfahrt nach Asunción haben wir als letzte Amtshandlung alle Geräte und Instrumente gründlich gereinigt, Turbine und Mikromotor gründlich geölt und alles sauber verpackt und mit einer Liste an Empfehlungen für den nächsten Zahnarzt vervollständigt. Nur der Bundeswehr Stuhl sollte uns nicht zurück begleiten; für ihn soll in Filadelfia eine feste Transportkiste gezimmert werden. Schau ma mal?!?
Am Dienstag, 20.05. ging es morgens zurück nachAsuncion, wo wir das zahnärztliche Gerät wieder im VAP der Obhut von Oscar Recalde gaben und Mons. Lucio begleitete uns wieder zurück ins Westfalenhaus, wo wir uns von ihm bei einem freundschaftlichen Drink verabschiedeten. Ein bisschen Traurigkeit kam bei uns da schon auf, aber es wird noch eine ganze Weile dauern, bis wir alle Eindrücke verarbeitet haben. Mons. Lucio dagegen war etwas in Eile, denn am nächsten Tag, am 21. Mai, war die Feier für den Gründer des Ordens der Oblaten, dem französischen Priester Eugen von Mazenod geplant und die Vorbereitungen dafür waren noch in vollem Gange.
Wir dagegen hatte dadurch einen Tag mehr Zeit für uns gewonnen. Am nächsten Tag machten wir eine Rundreise per Taxi im Circuito Central und besuchten San Lorenzo, wo die Kirche der Nachbau einer neugothischen Kirche aus Düsseldorf ist. Weiter nach Yaguarón, wo die einzigartige Kirche, überwiegend aus Holz gebaut, innen mit bunt bemalten Schnitzereien indigener Künstler ausgestattet ist. Zuletzt besuchten wir die Basilika in Caacupé, die von Papst Johannes Paul II geweiht worden war und zu der jedes Jahr am 8. Dezember tausende gläubiger Guarani von Asunción aus pilgern.
Die Sonne schien den ganzen Tag, was wir gar nicht mehr gewohnt waren, aber schon am darauf folgenden Tag begann der Regen wieder und manche steile Straße in Asunción verwandelte sich in einen Bach. Die Temperaturen begannen zu sinken, es wurde zunehmend ungemütlich und der Regen begleitete uns hartnäckig weiter bis zu unserem Heimflug und noch weiter bis zum Zwischenstop in Garulhos (SaoPaulo) und sorgte für verspätete Anschlussflüge, so dass wir unseren Weiterflug in Paris gerade noch erreicht haben.
Zum Schluss noch ein bisschen Statistik:
- Wir hatten
- 15 Arbeits-/Behandlungstage
- 9 Fahrtage (darin enthalten die An- und Abreise)
- 205 Patienten wurden behandelt
- 349 Extraktionen, 46 Füllungen, 8 Mundhygiene Maßnahmen ( ZST) und 363 Anästhesien
Dr. Hans Schürkämper, MSc
Dr. Gisela Schürkämper